Abgelegene Täler, grosse Seen und tosendes Wasser: Catskills bis Niagara
Am Donnerstagmorgen hiess es: Goodbye New York! Viel sahen wir davon nicht mehr, denn die Wolken hingen so tief, dass die Spitzen der Wolkenkratzer darin komplett verschwanden. Unser Weg führte uns zuerst in ein grosses Outlet-Center «etwas nördlich der Stadt» (d.h. 80 km entfernt), um uns mit dringend benötigten Schuhen, Wanderhosen- und Shirts einzudecken: die Sohlen meiner Lieblingsschuhe hatte ich in New York nun endgültig durchgelaufen.

Eigentlich wollten wir noch das Hudson River Valley erkunden, doch nach einer unruhigen Nacht auf dem Walmart-Parkplatz in Harriman – wir hatten uns zu nahe neben die Trucks gestellt, die teilweise ihre Motoren während der ganzen Nacht durchlaufen liessen – machte Ozy die Mitteilung, dass es ihm akut nicht gut gehe.
Nach einem Telefonat mit unserer medizinischen Beratung und Krankenkasse stellte sich zunächst die Frage, wo wir jetzt einen Arzt finden. Eine Angestellte der Walmart-Apotheke schickte uns auf Nachfrage in ein Gesundheitszentrum im etwa 20 km entfernten Newburgh.

Im Gesundheitszentrum warteten wir kurz, bis Ozy an einem der zahlreichen Empfangsschalter erklären konnte, dass wir nicht von hier seinen und darauf zuerst seine Kreditkarte vorlegen musste (die Grundtaxe für die Konsultation beträgt hier bei sofortiger Zahlung 145.60 $, etwaige Analysen und weitere Untersuchungen kommen noch dazu). Danach durfte er sein Leiden schildern und seine Personalien bekanntgeben. - Wir wohnen jetzt übrigens in 16422 Harmonsburg, PA, da unserer Schweizer Postleitzahl wohl nicht ins System passte...
Nach einer kurzen Zeit im Wartebereich wurden wir ins Untersuchungszimmer geführt, wo recht schnell eine Assistentin kam, die die Grösse, Gewicht, Temperatur und Blutdruck aufnahm. Nach einer weiteren Wartezeit kam dann ein Arzt mit Assistentin zu uns, untersuchte Ozy und ordnete eine Blutanalyse an. Nach einer weiteren Wartezeit kam wiederum eine andere Dame, die das Blut abnahm und sicherheitshalber gleich eine Kanüle für einen möglichen Tropf im Arm montierte. Nach einer weiteren, langen Wartezeit kam der Arzt mit den Analyseergebnissen zurück: es liegt tatsächlich eine Entzündung vor, aber zum Glück noch nicht allzu schlimm, so dass vorerst auf ein CT verzichtet werden kann. Ozy muss aber während 10 Tagen zwei Antibiotika nehmen. Der Arzt verabschiedete sich und nachdem wir nochmals länger auf eine weitere Dame gewartet hatten, die Ozys Kanüle wieder entfernt, waren wir entlassen und konnten die Medis gleich darauf in der Apotheke des gegenüberliegenden Walmart abholen, zu der das Rezept elektronisch übermittelt worden war. Wir haben zwar ein paar Stunden im Gesundheitszentrum verbracht, aber alles in allem hat es sehr gut funktioniert und die an und für sich speditiven Abläufe haben uns positiv überrascht.
Wir zogen uns daraufhin in einen kleinen Statepark in den nicht allzu weit entfernten Catskill Mountains zurück, die uns von der Landschaft und der Vegetation her stark an die Schweiz erinnerten. Der Beaverkill Statepark liegt in einem kleinen Tal, das dem Tösstal ähnelt – es hat sogar eine gedeckte Brücke – und ist anscheinend einer der besten Orte fürs Fliegenfischen. Wir sind hier so ganz ohne entsprechende Ausrüstung die grosse Ausnahme… («Kill» hat übrigens nichts mit dem Umbringen von Bibern zu tun, sondern stamt vom Mittelniederländischen «kille» für Flussbett oder Kanal). Hier kann sich Ozy im Grünen absolut ungestört erholen und ich meine absolut: es gibt hier nämlich weder Telefonempfang noch Wifi. Der einzige Nachteil dieses paradiesischen Plätzchens ist die Entfernung zum auf der anderen Seite des Flüsschens gelegenen Duschgebäude, die rund einen Kilometer beträgt (zu Fuss! – mit unserem Camper müssten wir gut 10 km fahren, da er zu hoch für die Brücke ist).

Zunächst können wir noch ein wenig das Draussensein geniessen, bevor sich das Wetter verschlechtert. Leider verabschiedet sich plötzlich die obere Kederschiene für unser Tarp. Wie sich herausstellte, war das doppelseitige Klebeband, mit dem der Hersteller unserer "Kiste" dieses angeklebt hatte, wohl nicht ausreichend oder zumindest nicht gut genug geklebt...

Nach zwei Tagen geht es Ozy so einigermassen. Die Antibiotika helfen zum Glück gegen die Beschwerden, aber die Nebenwirkungen sind vielfältig und beachtlich. Trotzdem wollen wir nun weiterfahren, auch weil sich das Wetter zunehmend verschlechtert und gemäss Vorhersage nicht besser wird.
Wir folgen zunächst dem Beaver Kill und dann dem Delaware River nach Osten, so weit wie möglich neben der «Autobahn». Die weitgehend bewaldete und hügelige Landschaft wird zunehmend flacher und ist immer dichter besiedelt. Wir fahren dann auf der Nr. 14 entlang dem langgestreckten Seneca Lake, dem grössten der sechs «Finger Lakes». Der auf beiden Seiten von sanften Moränenhügeln begrenzte See erinnert uns wiederum an den Zürichsee. Im Gegensatz dazu sind die Ufer hier aber mit ausgedehnten Weinbergen und Apfelplantagen bebaut, zwischen denen vereinzelt Weingüter und Farmen liegen. Am Nordende durchqueren wir das schmucke Städtchen Geneva und gelangen bald nach dem ebenfalls hübschen Lyons, wo wir die Schleuse (E27) im Erie-Kanal besichtigen.
Die Nr. 14 endet am Ontariosee und wir übernachten dort auf den Parkplatz der Marina in Sodus Point. Es stürmt gewaltig und auf unserem Abendspaziergang am Seeufer weht uns der Sand um die Ohren und wir fühlen uns angesichts der Wellen wie am Meer. Einige Strassen und Grundstücke am Seeufer sind teilweise überschwemmt und die Einwohner schichten weitere Sandsäcke auf.

Wir fragen im örtlichen Tankstellenshop nach und werden mit schockierender Unwissenheit konfrontiert: die jüngere Dame an der Kasse zuckt nur mit den Schultern – sie wohne nicht im Ort… Ihre ältere Kollegin klärt uns dann auf, dass es sich um ein gravierendes Hochwasser handelt, das zweite innerhalb von drei Jahren. Sie – wie die meisten Anrainer – ist stinksauer und führt es auf den «Plan 2014» zurück, einen neues Wasserstands-Managementsystem, das eine internationale, d.h. amerikanisch-kanadische Kommission fast 60 Jahre nach Inkrafttreten der letzten Seeregulierung für den Onatriosee bzw. St. Lorenzstrom ausgearbeitet hat und das unter anderem umweltverträglicher sein soll (offizieller Bericht als PDF; einer - der vielen - Artikel zum diesjährigen Hochwasser und Plan 2014).


Am nächsten Morgen ist der Wind eingeschlafen und der See präsentiert sich – abgesehen vom hohen Wasserstand – ausgesprochen friedlich.


Wir fahren dem Südufer entlang, durch weitere Apfel- und Weinplantagen und entlang sehr schöner Grundstücke mit weit von der Strasse zurückversetzten Häusern inmitten riesiger Rasenflächen. Wir checken zuerst kurz auf dem Four Mile Creek Statepark für zwei Nächte ein, und fahren danach entlang des Niagara Rivers zum Niagara Falls Statepark (Goose Island), wo man mit dem Campground-Nachweis gratis parkieren kann.
Das Wetter ist zwar nicht so besonders, aber auch so sind das Farbenspiel, die Wassermenge und das Tosen des Niagarafalls, der kleineren American Falls und des Fluses wieder enorm beeindruckend. Dieses Mal wollen wir "nur" die Natur geniessen, da wir vor vier Jahren schon die meisten "Attractions" wie Bootsfahrt mit den Maid of the Mist, das Abkärchern-Lassen in der "Cave of the Winds" oder auch den White Water Walk auf amerikanischer und kanadischer Seite mitgemacht hatten (Blog 2015, Einträge vom 27. und 28. August).


Wir spazieren noch zu den Three Sisters Islands oberhalb der Fälle, bestaunen immer wieder den Fluss und beobachten auf dem Weg zahlreiche Kanadagänse und Squirrels.



Der nächste Tag ist verregnet und wir nutzen ihn für eine ausgiebige Reinigung von uns selbst und unserer Kleider. Wir verlängern unseren Aufenthalt daraufhin um zwei Tage, denn wir wollen noch einiges unternehmen. Wir wechseln dabei auch gleich unseren Standplatz, denn wir hatten uns schön lauschig in die Nähe des Wäldchens am Four Mile Creek gestellt, was die Mücken durchaus anziehend fanden – blöder Anfängerfehler…
Zum Glück geht es Ozy trotz der Medikamente so gut, dass er am nächsten Tag einen ausgedehnten Besuch des sehr interessanten und in den wesentlichen Bestandteilen original erhaltenen Forts übersteht.

Am Tag darauf werden wir übermütig und wandern die beiden Trails entlang des Niagara River vom Devils Hole bis zu den grossen Stromschnellen und zurück: alles zusammen und mit Ab- und Aufstieg 12 km. Aber auch das schafft Ozy zum Glück gut und ohne Nachwirkungen.
Der Weg am Grund des rund 300 m tiefen Niagara Canyons verläuft auf dem heute über weite Strecken verschütteten Trassee einer Anfang des 20. Jahrhunderts gebauten Ausflugsbahn. Über uns ragen die lagigen Gesteinsschichten der hohen, manchmal überhängenden Canyonwände auf, zwischen denen teils Wasser austritt und für die Bildung von «Hängenden Gärten» sorgt. Ein guter Teil des mit teils riesigen Gesteinsbrocken bedeckten Canyonbodens ist bewaldet, dazwischen finden sich aber auch immer wieder Geröllfelder mit teils sehr rezenten Steinschlägen. Wir nehmen uns Zeit und beobachten Vögel und Schlangen und geniessen die gelegentlichen Durchblicke auf den tosenden Strom mit seinen haushohen Wellenbergen. Ab und zu rauschen Jetboote mit quietschenden Touristen durch die harmloseren Stromschnellen und drehen Sightseeing-Hubschrauber über unseren Köpfen knatternd ihre Runden. Währenddessen fährt die Aussichtsgondel über dem «Whirlpool» geräuschlos hin und her.
Am Samstag verlassen wir den Niagara River und folgen dem Südufer des Eriesee bis zur gleichnamigen Stadt. Dort machen wir – und zahlreiche Wochenendausflügler – einen Ausflug zur vorgelagerten Halbinsel Presque Isle, wo wir auch einmal unsere Drachen steigen lassen können.


Nach der Gratisübernachtung auf einem weiteren Casinoparkplatz fahren wir auf die I-90 bis kurz vor Toledo. Es wird in dieser Gegend immer schwieriger mit freien Stellplätzen und wir benützen den RV Stellplatz einer Autobahnraststätte des Ohio Thruways – für 20 $ Übernachtungsgebühr. Immerhin sind die WCs sehr sauber und wir dürfen die für die Trucker bestimmten Duschen mitbenutzen. Zudem gibt es hier auch einen Wasserhahn und eine Dumpingstation.
Am Pfingstmontag geht es nach Detroit. Hier besuchen wir zunächst das überaus interessante und weitläufige «The Henry Ford», das Henry Ford Museum of American Innovation, wo wir einige Stunden verbringen und nicht nur zahlreiche Autos, sondern auch Flugzeuge, Dampfmaschinen, Generatoren und vieles anderes angucken. Danach fahren wir auf einen Campingplatz nördlich der Stadt, wo wir nach langer Zeit unsere Freunde Mike und Sandy aus Maine wiedertreffen.
Morgen dürfen wir gemeinsam mit ihnen einer von kanadischen TDR-Mitgliedern organisierten Führung durch die Sterling Hights Assembly Plant von FCA in Warren teilnehmen, wo die neuen 1500er RAMs gebaut werden, bevor es dann zum grossen TDR-Treffen in Columbus IN geht.



Ein Gedanke zu „Abgelegene Täler, grosse Seen und tosendes Wasser: Catskills bis Niagara“
Hi ihr zwei,
wow was für ein Abenteuer und so tolle Bilder , total beeindruckend … Gott sei Dank hat die medizinische Versorgung gut geklappt und Ozzy geht es wieder besser…alles Gute für euch weiterhin!
LG Yvonne und Hartwig
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