Ab in die Wüste – Vom Glacier NP nach Hamilton, NV

Ab in die Wüste – Vom Glacier NP nach Hamilton, NV

Vom Glacier NP, unserem für dieses Jahr wohl nördlichsten Punkt, wenden wir uns wieder nach Süden. Wir haben mit unseren Freunden Don, Bill und Bob in Hamilton, NV abgemacht, die wir diesmal auf ihrem «Fall Trip» begleiten dürfen.

Hamilton ist knapp 1’500 km von unserem derzeitigen Aufenthaltsort entfernt und Google Maps gibt dafür eine Fahrzeit von 14 Stunden an. Da wir die drei erst in zwei Wochen treffen werden, können wir es sehr gemütlich nehmen.  

Wir fahren auf der MT-35 entlang des Ostufers des grossen Flathead Lake. Auch hier wird fleissig Landwirtschaft betrieben, unter anderem Obstbau. Jetzt ist hier Kirschenzeit und die Strassen sind gesäumt von zahlreichen Ständen. Wir kaufen bei einer spanisch sprechenden Dame, die ihre Waren in einer Garage feil bietet, und schwelgen die nächste Zeit in goldgelben, süssen und sehr saftigen Rainier-Kirschen. In den Läden werden zudem Pflaumen, Zwetschgen, Aprikosen, Nektarinen und verschiedene Kreuzungen wie Pluots und Apriums (besonders süss und saftig!) angeboten.

 

Nach dem See erreichen wir die Flathead Reservation, wo die Orte, Flüsse und Bäche auch mit ihren historischen Salish und Kutenai Bezeichnungen angeschrieben sind und sogar «neumondische Erfindungen» übersetzt wurden (Wildüberführung heisst hier z.B. ˀArkmaˀis Tuʠȼquamnanińtik = Animal’s Trail = Tierpfad; keine Ahnung, wie man das ausspricht…).

 

Nachdem wir Missoula passiert haben, wenden wir uns nach Südwesten und folgen der US-12 über den Lolo Pass, der die Grenze zu Idaho bildet. Hier gelangen wir in den Lolo und den Nez Perce-Clearwater National Forest, wo wir uns die nächsten Tage aufhalten.
Die Hauptstrasse würde vom Pass aus dem Tal des Lochsa River folgen. Wir entscheiden uns aber, stattdessen einem Teil des Historic Nez Perce Trail (NF-500, auch Lolo Motorway genannt) entlang der Berggrate zu folgen.

Zahlreiche Infotafeln geben Auskunft über die Umgebung, die Lewis und Clark Expedition und vor allem über die Nez Perce (nach heutiger offizieller Eigenbezeichnung Niimíipuu = «die wandernden Menschen» oder «wir, die Menschen»), die diese Strecke für Handel und saisonale Migration begangen haben. Schliesslich flüchteten 1877 auf dieser Route 2’900 Angehörige des Stammes unter Führung von Chief Joseph vorderhand erfolgreich vor rund 2’000 US-Soldaten.
Neben den «klassischen» Infotafeln finden wir auch eine «electronic Tour Site», wo ein durch Solarzellen gespeistes, lokales Wifi eingerichtet wurde, das es den Besuchern des Gebietes erlaubt, Informationen und detaillierte Wanderkarten in PDF-Form herunterzuladen.

Die Strecke gefällt uns sehr gut, auch wenn sie nur sehr langsam zu befahren ist (Stichworte: umgefallene Bäume, die meist nur gaaaanz knapp neben der Fahrspur abgesägt wurden oder sogar noch aus dem Weg geräumt werden müssen, Schlaglöcher und teils sehr staubige Pisten). Sie bietet aber immer wieder grandiose Ausblicke und ist überhaupt sehr abwechslungsreich: alte Waldbestände wechseln sich ab mit abgebrannten Flächen, die oft leuchtend farbige Blumenteppiche aufweisen und einen ungehinderteren Blick auf die umliegenden Bergketten ermöglichen, und mit Waldstücken in verschiedenen Stadien der Regeneration.

 

Nach einer Übernachtung auf einem (kostenlosen) National Forest-Campground am idyllischen Rocky Ridge Lake verlassen wir am nächsten Tag den Historical Trail und folgen dem Lauf des whiskyfarbenen Lolo Creek ins Farmland am Rande der Camas Prairie.

Auf der US-95 gelangen wir über den White Bird Hill, vorbei am Monument für die erste (für den Stamm erfolgreiche) Schlacht im Nez Perce-Krieg, ins Tal des Salmon River. Auch hier gibt es zahlreiche kostenlose NF-Campgrounds und Bootsrampen und wir finden einen sehr hübschen Platz, wo wir uns auch im Fluss abkühlen können.
Leider ist das Tal sehr eng, wodurch alle Campgrounds nahe an der – trotz Nacht-Sperrungen wegen eines Felssturzes – rund um die Uhr befahrenen Hauptstrasse liegen und nicht besonders ruhig sind… Wir fahren deshalb am nächsten Tag bereits weiter und können entlang der Strasse auf einem privaten Campingplatz für 3 $ unsere zur Neige gegangenen Wasservorräte auffüllen.
Nachdem wir mitten in Idaho wieder die Zeitzone gewechselt haben (in der Moutain Time Zone sind wir «nur» noch 8 Stunden hinter der Schweiz) gelangen wir in den Süden Idahos.

 

In McCall gehen wir in einem tollen Albertssons einkaufen, der einfach wunderbare Sachen hat, inklusive echtem Emmi-Raclettekäse, dem wir nicht widerstehen können…

 

Beschwingt vom erfolgreichen Einkauf und im Gespräch achtet Ozy auf der geraden Strasse aus dem Städtchen nicht so auf die Geschwindigkeit – bis ein uns entgegenkommendes, kaum kenntliches Polizeifahrzeug die Sirene anstellt, auf der Strasse wendet und hinter uns herfährt… Au weia! Hier messen sie auch in der Gegenrichtung aus dem Auto!
Ozy hält brav am Strassenrand an und eine formidable, streng dreinblickende, hochgewachsene Dame in Sheriff-Uniform, komplett mit breitem Hut, nähert sich unserem Auto auf meiner Seite. Sie weist Ozy freundlich, aber sehr bestimmt darauf hin, dass 42 mph in einer 25 mph-Zone doch zu schnell seien und die Strasse weiter vorne im Übrigen auch nur mit 35 mph befahren werden dürfe. Mist! Fast 28 km/h zu schnell in einer 40er-Zone innerorts… Das gäbe bei uns eine Verzeigung und eine grosse Busse!

Nachdem sie die Papiere (Ozys Fahrausweis, Wagenpapiere und amerikanischen Versicherungsnachweis) kontrolliert und zurückgegeben hat, fragt sie mich unvermittelt, in was für einer Beziehung ich zum Fahrer stünde. Auf mein «äh, das ist mein Ehemann» meint sie, ich solle ihm sagen, dass er mir besser Sorge tragen und nicht so rasen solle.
Als nächstes fragt sie mich, ob ich mir etwas wünsche? Ich bin nun völlig verwirrt über den Themenwechsel und brösmele schliesslich etwas von mehreren Dingen, die ich mir vorstellen könnte. Daraufhin meint sie, Ozy solle doch ins Dorf zum Juwelier fahren, wo er mir etwas Schönes für die 90 $ kaufen könne, die sie ihm erlasse! Es dauert einen Moment bis bei mir der Groschen fällt! Sie lässt uns ziehen!!! Ohne Busse!!!
Als ich mich herzlich bei ihr bedanke und stottere, dass ich bei meinen Wünschen eigentlich mehr an etwas Essbares gedacht hätte, spielt ein ganz leises Lächeln um ihre gestrengen Mundwinkel. Sie verabschiedet sich und lässt uns ein einem Zustand zwischen Schock, Erleichterung und Euphorie zurück.

Ozy fährt schliesslich – ganz gesittet – weiter zu einem schönen Platz am Cascade Lake – ein guter Tipp von Tammy.
Der Platz gefällt uns so gut, dass wir gleich noch vier Tage hierbleiben und erst am Freitag die Flucht ergreifen, als sich abzeichnet, dass das Seeufer sehr gut besucht sein wird. Wir beobachten alle möglichen Vögel – von gewöhnlichen Enten über Gänse, Pelikane und Reiher bis zum Fischadler –  und nutzen die Ruhezeit, um Auto und Aufbau zu wachsen. Ozy reinigt auch wieder einmal die Solarzellen und stellt fest, dass eine den Geist aufgegeben hat und eine zweite auch nur noch mit halber Kraft arbeitet…. Mist!
Zwischendurch wird immer wieder mal gebadet, auch wenn der See sehr flach und mit diversen Wasserpflanzen bewachsen ist, so dass man ziemlich weit hinauswaten muss, wenn man etwas schwimmen möchte.

 

Erholt folgen wir der ID-55 durch das hübsche Tal des Payette River und über den Spring Valley Summit in den Grossraum der Hauptstadt Boise, wo wir in verschiedenen Outdoor- und Camping-Läden versuchen, einen Ersatz für unsere mittlerweile sehr fadenscheinigen Campingstühle zu bekommen. Da die Amerikaner dieses Jahr wegen Corona vermehrt im eigenen Land bleiben und dafür in die «Great Outdoors» schwärmen und gleichzeitig die Produktion von Campingausrüstung behindert wurde, sehen wir viele leere Regale. Wir können uns schliesslich glücklich schätzen, überhaupt noch ein brauchbares Paar Stühle zu ergattern.
Das Stühle-Shoppen, Tanken und ein Grosseinkauf im Walmart haben uns ganz schön erschöpft (im Walmart zusätzlich noch durch stundenlanges Anstehen beim Optiker für einen Sonnenbrillen-Aufsatz, den man – ohne Corona-Massnahmen – nur aus dem Gestell nehmen könnte…). Wir fahren deshalb nicht mehr allzu weit und ziehen uns zum Übernachten ans Arrowrock Reservoir zurück, wo wir direkt am Ufer des Stausees stehen können.
Es ist Freitagabend und es spielt sich schon jetzt neben und auf dem See allerlei ab. Wir gucken dem Treiben zu, während wir unsere neuen Stühle geniessen und geniessen anschliessend einen feinen Znacht mit «Cervelats» (Old Fashioned Franks von Falls Brand) und «Silserbrötli» (Bavarian Pretzel Hamburger Buns), die wir im Walmart entdeckt hatten.

 

Am nächsten Morgen halten wir ausserhalb von Boise an der Hauptstrasse, um zu telefonieren (am Reservoir gab es keinen Empfang). Plötzlich wechselt ein weisser RAM-Truck von der Gegenfahrbahn her die Spur und fährt ebenfalls auf unseren kleinen Ausstellplatz. Ein Mann steigt aus und nähert sich. Unsere Verwunderung weicht wenig später grosser Freude, als sich herausstellt, dass der geheimnisvolle Herr ein – bisher nur virtueller – Bekannter von Ozy aus dem TDR-Forum ist, der unser einzigartiges Fahrzeug beim Vorbeifahren erkannt hat! Die Welt ist doch klein! John, ein Helikopterpilot der US Streitkräfte, Ozy und ich schwatzen eine ganze Weile und machen ein «Poser Pic» mit den beiden RAMs fürs Forum bevor sich unsere Wege wieder trennen. Er fährt heim, um seinen Geburtstag zu feiern, wir, um unseren Weg Richtung Nevada fortzusetzen.

 

Wir werfen im Thousand Springs SP einen Blick in die von Basaltwänden eingefasste Schlucht des Malad River, dessen braune Fluten durch zahlreiche aus den Wänden austretende Quellen klar blau gefärbt werden. Der Malad River vereinigt sich bald darauf mit dem Snake River, an dem wir etwas flussaufwärts bei einer Marina übernachten. Es reicht gerade noch für ein kühles Bad, bevor uns Schwärme kleiner Stechmücken vertreiben.

 

In Twin Falls können wir unseren Wasservorrat auffüllen. Hier – wie in ganz Idaho – gibt es freie, durch den Idaho RV Grant finanzierte Dumpstations mit Frischwasser, die wir sehr schätzen!
Wenig ausserhalb von Twin Falls bewundern wir die Shoshone Falls, die sogar noch jetzt im Spätsommer sehr eindrücklich sind. Sie sind von einem hübschen Statepark mit grünem Rasen und vielen Picknicktischen umgeben, die beide jetzt am Sonntag auch ausgiebig genutzt werden.

 

Entlang der US-93 geht es nun fast gerade nach Süden. Das Land ist trocken, aber wo Wasser zur Bewässerung vorhanden ist, wird fleissig Ackerbau betrieben. Hier im Süden sehen wir auch endlich die grossen Kartoffelfelder. Idaho ist so stolz auf seine Knollen, dass sie es sogar zum Staatsmotto auf den Autoschildern gebracht haben: «Idaho – famous potatoes»! Das ist uns als «Gumeli-Schwyzer» natürlich sehr sympathisch 😉

Wir übernachten wieder an einem Stausee, diesmal dem des Salmon Falls Creek, einem weiteren Zubringer des Snake River. Hier sehen wir zum ersten Mal eine Blaualgen-Blüte in der Bucht, was uns leider vom Baden abhält, denn es ist hier sehr heiss. Dafür ist die Geologie an dieser Bucht sehr interessant und wir bestaunen «Klippenschwalben-Pueblos», die an die plattigen Sandsteinfelsen geklebt sind.

 

Je weiter wir nach Süden kommen, desto karger wird die Landschaft. Bei Jackpot, das sich als eine Art Oase mit ein paar Kasinos aus dem Braungrau der Umgebung abhebt, erreichen wir Nevada. Von hier sind es nochmals gut 100 km bis Wells, wo wir die nächsten beiden Tage bei der 12 Mile Hot Spring verbringen (so benannt, weil sie 12 Meilen ausserhalb von Wells liegen). Die letzten 4 Meilen sind eine ganz üble Piste mit tiefen Mulden und Löchern und ein paar Furten.
Die rumpelige Strecke hat sich allerdings gelohnt, denn diese heisse Quelle im Canyon des Bishop Creek (eigentlich sind es mehrere) gefällt uns besonders gut. Sie wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem grossen, etwa 12 Meter langen und 90 cm tiefen Becken gefasst, das mit etwa 38 °C die perfekte «soaking temperature» aufweist.
Jeweils am Morgen und Abend erhielten wir Besuch von Einheimischen, aber ausser einer Nacht mit Zeltcampern hatten wir die Quellen und den neben dem Pool fliessenden warmen Bach ganz für uns alleine. – Herrlich!

 

Ganz entspannt können wir darauf in Elko Grosseinkauf machen, Volltanken und die Wäsche und unser Gefährt reinigen. Zur Belohnung gönnen wir uns eine Nacht auf dem Campground der South Fork State Recreation Area am South Fork Reservoir. Baden mögen wir wegen des kalten, kräftigen Windes nicht, aber der Sonnenuntergang ist spektakulär.
Wir haben uns auf einen netten Platz gestellt und brav die 10 $-Gebühr fürs Dry Camping bezahlt. Eine Rangerin, die am Morgen an unsere Türe klopft informiert uns dann aber, dass wir trotzdem die ganzen 25 $ bezahlen müssten, weil wir ja theoretisch die Elektrizität hätten brauchen können… – Dummer Fehler! Immerhin können wir hier Duschen und auch unseren Wassertank auffüllen, bevor wir auf Kiesstrassen quer durchs Newark Valley fahren, um uns am Nachmittag mit unseren Freunden Don, Bill und Bob zu treffen, die ihr Lager bei der ehemaligen Minenstadt Hamilton aufgeschlagen haben.

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