Wälder, Wasserkraft und Wale – Labrador, The Big Land

Wälder, Wasserkraft und Wale – Labrador, The Big Land

Ab und zu gibt es ein Nottelefon

Von Baie-Comeau am Nordufer des St. Lorenz-Stroms geht es nun also in Richtung des «berühmt-berüchtigten», rund 1’200 km langen Trans-Labrador-Highway. Die «Zufahrt», d.h. die Strasse zur Provinzgrenze von Labrador via den Quebec Provincial Highway 389 beträgt bereits 570 km. Beide Routen werden auf der Website der «dangerous roads» aufgeführt (QPH 389 bzw. TLH 500). Der TLH führt seit 1992 quer durch den südlichen Teil Labradors, das letzte Teilstück zwischen Happy Valley/Goose Bay und Port Hope Simpson wurde erst 2009 erstellt. Er vermittelt zwischen den «Rohstoffsiedlungen» und dem St. Lorenz-Strom bzw. der Ostküste. Von ihm aus führen ein paar wenige Stichstrassen zu weiteren Orten, alle übrigen Siedlungen sind nur per Flugzeug oder Schiff zu erreichen.

Noch sind ca. 350 km Kiesstrasse, es wird aber daran gearbeitet alles durchgängig zu asphaltieren; bis in 2 oder 3 Jahren sollten die Arbeiten abgeschlossen sein. Dann besteht das «Abenteuer» nur noch darin, dass die Tankstellen und Versorgungsstationen jeweils mehrere hundert Kilometer auseinanderliegen und es kein Handynetz gibt. Sie wird auch als «loneliest road in the world» gehandelt und man könnte an verschiedenen Orten gratis Satellitentelefone für den Notfall ausleihen. Aber mindestens im Moment waren so viele Fahrzeuge unterwegs, dass wir das ausgelassen haben. Wir bewältigen die ganze Strecke absolut problemlos. Das Fahrzeug ist dreckig geworden, während die Hinterachse komplett sandgestrahlt und blank ist. Das war’s dann aber auch.

Den stark gewundenen Abschnitt bis Manic 2 hatten wir auf unserem Ausflug zum Staudamm bereits befahren gehabt. Danach wird die Strasse eher besser und entspricht insgesamt den Verhältnissen, die wir dann auf dem eigentlichen Trans-Labrador-Highway antreffen werden, inklusive der Baustellen. Es geht also Hügel auf, Hügel ab, durch endlose Wälder und entlang zahlloser Seen, Bäche und Flüsse bis zum Staudamm Manic 5. Wir sind gerade noch rechtzeitig und können uns dem «praktischen Teil» der Führung anschliessen. Im Gegensatz zu Manic 2 wird man hier mit dem Bus zu verschiedenen Besichtigungspunkten gefahren und dürfte im Aussenbereich auch fotografieren. Im i-Overlander wären zwar ein paar lauschige Punkte in der Nähe verzeichnet, aber wegen der Mücken würden wir den schönen grossen und luftigen Parkplatz des Besucherzentrums, vorziehen… Auf Nachfrage dürfen wir hier übernachten und der freundliche Sicherheitsbeamte warnt uns noch vor einem herumstreifenden Bären.

Kurz vor dem Schlafengehen hupt es draussen plötzlich – es sind Jürgen und Gaby vom Schiff (kurmaontour.de)! Was für ein schöner Zufall!

Am nächsten Tag gehen wir mit ihnen zusammen nochmals auf die Tour zum Staudamm – dieses Mal mit Fotokamera – und verbringen die restliche Zeit mit dem Austausch von Reiseerlebnissen. Sie geben uns viele gute Tipps zur weiteren Route in Labrador und Neufundland, wo sie gerade herkommen – vielen Dank!

Am nächsten Tag geht es für uns alle weiter. Während Jürgen und Gaby nach Baie-Comeau fahren, nehmen wir die Strecke nach Fermont unter die Räder. Gleich nach Manic 5 beginnt ein rund 100 km langer, ungeteerter Abschnitt, an dem abschnittsweise gearbeitet wird. Die Strasse ist aber zum Glück nicht ganz so schlimm wie befürchtet, sondern recht angenehm zu befahren. Obwohl das Wetter nicht besonders gut ist – was dafür die Staubbelastung stark vermindert –, geniessen wir die Strecke, die durch die weiten, bewaldeten Hügellandschaften führt. Wir erhaschen einen Blick auf den vom rund 60 km südlich liegenden Staudamm Manic 5 aufgestauten Lake Manicouagan, der einen riesigen Meteoriten-Einschlagkrater ausfüllt, fahren auf dem «Boulevard» der ehemaligen, komplett wieder abgebauten Minenstadt Gagnon und passieren die Fire Lake-Mine, deren Erzbrocken von langen Zügen nach Fermont zur Aufbereitung gebracht werden.

Wir besuchen die Minenstadt Fermont, die durch «die Mauer», ein 1.3 km langes, gewinkeltes Gebäude vor den Winterstürmen geschützt wird. Die Stadt wurde auf dem Reissbrett geplant und ihre an die Wetterverhältnisse angepassten Modul-Häuser wurden in Quebec gebaut und dann hierher transportiert. In der «Mauer» selbst befinden sich Wohnungen, Geschäfte, Sportanlagen, Kindergärten etc., so dass die Bewohner, alles Mitarbeiter der Minenbetreiberin Arcelor-Mittal und ihre Familien, im Winter im T-Shirt ihre Besorgungen erledigen oder zum Coiffeur gehen können. Auch die Tourist Information, wo wir uns gleich für den nächsten Tag für eine Minentour anmelden können, ist in diesem Gebäude angesiedelt. Nachdem wir dessen Innenleben erkundet haben, besuchen wir den am Ortseingang ausgestellten Minen-Dumper. Die weiteren Angebote der Stadt, kleine Wanderwege und ein Badestrand am See, nehmen wir wegen der allgegenwärtigen Moskitos und Blackflies dann aber nicht in Anspruch. Als wir den (in i-Overlander verzeichneten) Übernachtungsplatz am See aufsuchen, wird unser Auto auch noch von riesigen, unglaublich schnellen und grossen Insekten (Killerbienen???) attackiert, so dass wir schleunigst die Flucht ergreifen und uns eine andere Stelle suchen.

Die mehrstündige Minentour durch die Mount Wright Mine am nächsten Tag ist sehr beeindruckend. Es handelt sich hier um die grösste offene Eisenerzmine in der Provinc Quebec und wir können nicht nur einen Blick ins «Loch» werfen, sondern dürfen auch die Werkstätten und Aufbereitungsanlage besichtigen. Immer begleitet von unserem Guide Yves und einem Mitglied der Security, die uns beide viel Interessantes über die Arbeit und das Leben in Fermont erzählen. Die Tour ist auf «französisch» (eigentlich ist es – zumindest für mich nur schwer verständliches – Québequois…), doch Yves, der schon auf der ganzen Welt gearbeitet und (Minen-)Projekte geleitet hat, spricht auch sehr gut Englisch. Mit uns nimmt unter anderem auch ein nettes Paar aus der Provinz Québec an der Tour teil, mit dem wir uns halb englisch, halb französisch unterhalten und die uns beim Abschied 6 wunderschöne Forellen schenken, die sie am Abend zuvor gefischt haben.

Am nächsten Tag geht es weiter nach Churchill Falls. Wir passieren die Provinzgrenze zu Labrador, ab der der Quebec Provincial Highway 389 zum Trans-Labrador-Highway 500 wird. Da wir noch mit allem versorgt sind, lassen wir Labrador City rechts liegen und fahren direkt nach Churchill Falls. Auch diese Stadt verdankt ihre Existenz einem Rohstoff: hier ist es (wieder) die Wasserkraft. 88 kleinere Dämme mit einer Gesamtlänge von 64! km stauen verschiedene Seen und Flüsse zum insgesamt 6527 km² grossen Smallwood Reservoir. Das Kraftwerk selbst, das zweitgrösste Kanadas mit 11 Turbinen und rund 5700 MW (rund 5x die Leistung eines durchschnittlichen AKWs!), ist unterirdisch in den Fels gebaut.

Wir übernachten auf dem zentralen Parkplatz vor dem im Ort «Everything House» genannten Gebäude. Es ist zwar nicht so gross wie dasjenige in Fermont, enthält aber ebenfalls vom Laden über ein Hotel bis zu Schwimmbad und Fitnesszentrum so ziemlich alles, was die Leute hier benötigen. Der Eintritt ins Hallenbad ist gratis und wir geniessen – zusammen mit einem weiteren Paar aus Quebec – inmitten der «Linienschwimmer» aus dem Ort das Wasser. Wir treffen hier auch ein Schweizer Ehepaar mit ihrem Fiat Ducato WoMo, mit dem wir am nächsten Morgen auf die Führung durchs Kraftwerk gehen, und uns danach beim Mittagessen (vielen Dank für die Einladung!) austauschen. Die beiden machen sich danach auf den Weg nach Westen, während wir uns noch das Reservoir unmittelbar über dem Kraftwerk und den Wasserauslass am Churchill River ansehen, um danach weiter Richtung Küste zu fahren.

Die Gegend wird zunehmend hügelig, der Untergrund ändert sich von Fels zu Sand und in den «skandinavischen Nadelwald» mischen sich vorübergehend mehr Birken und andere Laubbäume. Nicht weit vor Happy Valley-Goose Bay hatte Ozy auf der Karte den Namen Muskrat Falls gesehen. Wir biegen von der Hauptstrasse dorthin ab – nur, um festzustellen, dass auch diese Fälle dem allerneuesten, hoch umstrittenen Stromprojekt zum Opfer gefallen sind...

Wir fahren weiter nach Happy Valley-Goose Bay, wo wir einen Tim Hortons (und damit wieder einmal Internet) finden. Zum Übernachten fahren wir zu einem «lauschigen» iOverlander-Platz am Churchill River, der hier – zumindest für unsere Begriffe – schon Seebreite hat. Wegen der vielen Mücken verlassen wir den Camper erst am Morgen wieder, um weiterzufahren.

Man muss dazu anmerken, dass die Mücken, Blackflies und anderes fliegendes Getier hier in NL eine echte Landplage sind. Ohne Schutz geht gar nichts und selbst wenn man alle möglichen mechanischen und chemischen Mückenabwehrmassnahmen ergreift, macht das Wandern etc. echt keinen Spass. Die Viecher sind brutal aggressiv und stechen sofort bei der Landung – kein Vergleich zu den gemütlichen Mücklein in der Schweiz... Einzig in den Siedlungen entlang der Strecke ist es halbwegs erträglich, denn diese werden während der Mückensaison professionell und grossflächig mit Insektiziden behandelt. Eine Praxis, die auch viele Privathausbesitzer oder Campingplatzbetreiber ausführen lassen, um den Aufenthalt im Freien nicht als Blutspender zu verbringen. Wildcampen, wie wir es machen, hat also Abenteuerfeeling.

Interessante Architektur in Happy Valley-Goose Bay
Blick durch unser Blackfly-Netz auf den Churchill River

Nach einer Einkaufstour im neuen Co-op in Happy Valley fahren wir ein Stück zurück und biegen dann auf die 510, den «Labrador Coastal Drive», ab. Eine für unsere Begriffe beschönigende Bezeichnung, da das an einem langen Fjord gelegene Port Hope Simpson noch rund 400 km und die «richtige» Küste bei Mary’s Harbour noch 450 km entfernt sind; die «Küstenstrasse» von Mary’s Harbour nach Blanc-Sablon an der Grenze zu Quebec ist dann nur noch 160 km lang…

Nach wenigen Kilometern beginnt wieder die Gravel Road. Für den Wüsten- und Island gewöhnten Ozy bietet sie keinerlei Probleme und auch unser Fahrzeug fühlt sich in seinem Element. Dass man aber nicht unvorsichtig werden sollte, zeigen uns ein Wrack im Strassengraben (es sah noch frisch aus, weshalb wir umgedreht und nachgesehen, aber niemanden drin gefunden haben) und mehrere Autos mit Reifenpannen.
Nach Auskunft von Jürgen und Gaby war die Strasse vor kurzem auch noch mehrere Tage gesperrt, weil ein Teil der Strasse inkl. einem Auto vom Hochwasser mitgerissen worden war.
Dieser Schaden ist aber inzwischen vollständig repariert und auch sonst wird immer wieder an der Verbesserung der Gravel Road und weiteren Asphaltierung gearbeitet. Die Strassenarbeiter, die die Stop-Tafeln halten, sind zum Teil vollständig in Mückenschutzanzüge gehüllt. Andere scheinen dagegen immun zu sein und wir haben sogar einen gesehen, der nur in Shorts und T-Shirt unterwegs war.

Wir bringen die letzten Kilometer des TLH gut hinter uns. Dabei sehen wir zwei Elche (leider keine Bären, wie andere Reisende) und passieren die Zeitzone zwischen Atlantischer und Neufundland-Zeit. Schliesslich biegen wir bei prasselndem Regen und Sturmwind nach Port Hope Simpson nach St. Lewis an der «Iceberg Alley» ab, die uns von Jürgen und Gaby wärmstens empfohlen worden war.

Wir übernachten oben auf dem Berg zwischen zwei aktuellen Sendemasten auf den Fundamenten der ehemaligen amerikanischen «Fox Harbour Pinetree Gapfiller Site», einer von 1957-1961 nur kurz in Gebrauch stehenden kleine Radarstation aus dem Kalten Krieg. Dieser Punkt ist gemäss Schild auch der «östlichste Punkt des nordamerikanischen Kontinents, der mit dem Auto befahren werden kann».

Am nächsten Tag kommt endlich wieder einmal die Sonne heraus und wir sehen von hier aus mehrere Eisberge die «Iceberg Alley» hinuntertreiben, sie sind sogar ziemlich schnell unterwegs, aber meistens sind es eher «Eiszwerge», wie Ozy meint. Ich mache eine Wanderung über die Tundra in Richtung der ehemaligen Fischersiedlung Deep Water Creek, gehe den Weg wegen des beschädigten Boardwalk und – wer hätte das gedacht… – der Mücken dann aber nicht bis ans Ende. Das Wetter ändert hier unglaublich schnell und am Abend werden wir noch mit einem Regenbogen und eine spektakulären Abendstimmung belohnt.

Es geht weiter auf der «Küstenstrasse» über eine ausgedehnte, karge Hochebene (mit Schneeresten…) bis Red Bay, ein UNESCO Welterbe. Hier begann im 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts die erste Industrie Nordamerikas: die Gewinnung von tausenden Barrels Walöl, mit dem die europäischen Städte beleuchtet wurden. Die Walfängerei wurde von den Basken (jawoll die aus Norsspanien) betrieben, die in den Sommermonaten hierher (und einige andere Punkte an der Küste) kamen und die dafür benötigten Gebäude und Werkstätten (gedeckt mit aus Europa mitgebrachten Hohlziegeln) errichteten. Im Hafen liegen einige Wracks (eines wurde taucharchäologisch untersucht), und entlang der Bucht grosse Walknochenhaufen. Ich staune über die unglaublich gute Erhaltung von Textilien und Leder aus den Gräbern derer, die hier bestattet wurden.

Am Abend übernachten wir im Schutz des Point Amour Leuchtturms, der den Schiffen den Weg durch die heimtückische Belle Isle Strait weisen soll. Wir treffen hier wieder auf unsere kanadischen Bekannten, die uns die feinen Forellen gegeben hatten und sie sind wieder überaus grosszügig und schenken uns frisch gesammelten «Labrador Tee» und Maple Syrup, der in ihrem Nachbardorf gewonnen wird. Wir schwatzen und beobachten währenddessen vom Ufer aus Fischadler, vorbeiziehende Pilotwale und Robben.

Am nächsten Tag erklimmen wir den mit rund 40 m zweithöchsten Leuchtturm Kanadas (der höchste in der Provinz Neufundland und Labrador). Wir geniessen die Aussicht auf fossile Riffs (Forteau Formation) und kleinere Eisberge.

Helen, eine Mitarbeiterin, die eben die Fresnel Linse poliert, erzählt uns von der HMS Raleigh, einem schweren Kreuzer und Flaggschiff der Britischen Marine, der 1922 vor dem Leuchtturm auf Grund gelaufen ist (hier wird überliefert, weil der Kapitän Lachs fischen wollte). Das Schiff lag 4 Jahre für alle gut sichtbar an der Küste, bis die Britische Marine diesen «Schandfleck» für Schiessübungen benutzte um ihn von der Bildfläche verschwinden zu lassen...

Kein Pflaster, sondern Überreste eines versteinerten Riffs
Trocknender "Labrador-Tee"

Bevor wir gehen, bekommen wir im Visitorcenter noch eine Tasse Labrador-Tee, den wir auch gut brauchen können, denn es ist stürmisch und bitterkalt (6°) draussen.
Ich besichtige aber trotzdem noch den mit 7500 bis 8000 Jahren bisher ältesten bekannten Grabhügel in Nordamerika (Maritime Archaic Culture). Er überdeckt eine Kinderbestattung, die sich nicht nur dadurch auszeichnet, dass sich viele Grabbeigaben, u.a. eine Knochenflöte und weitere Knochen-, Walrosszahn- und Steinartefakte erhalten haben, sondern auch, dass das Kind mit dem Gesicht nach unten und einem grossen Stein auf dem Rücken begraben wurde.

Wir fahren zurück auf die Küstenstrasse bis Blanc-Sablon, das wieder in der Provinz Québec liegt und von wo aus dann die Fähre nach Neufundland fährt. Von Blanc-Sablon aus führt die kurvige und teils sehr steile Küstenstrasse noch 70 km bis Vieux-Fort. Hier ist dann endgültig «Ende Gelände» und man käme nur noch per Küstenschiff zurück an die Mündung des St. -Lorenzstroms.
Das Wetter war zwar nicht besonders, aber immerhin wurden wir mit dem Anblick eines schönen Eisberges in einer Bucht belohnt. Zurück in Blanc-Sablon können wir noch ein Ticket für die letzte Fähre am Abend erstehen (genialerweise ist das Ticket-Office auf der «Rückseite» angeschrieben so dass man es erst sieht, wenn man vorbeigefahren ist) und einige Zeit später geht’s dann auf das Schiff, das uns nach Neufundland bringen wird.

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